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Malerei

Einladung

Rückseite

Die Formatierungen der Laudatios werden derzeit überarbeitet. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Laudatio

Liebe Freunde der Kunstkantine,

ich darf Sie jetzt begrüssen zu der Vernissage für die Werke von

Brigitte Dahmen-Roscher.

Vielen Dank dass ihr uns heute Abend die Ehre gebt. Einige kennen mich vielleicht schon.

Mein Name ist Bernd Roloff.

Ich bin der Resident Laudator der Kunstkantine und leite mit meinen Vortrag jetzt die 9. Ausstellung in der Kunstkantine ein, seit ihrer Eröffnung im März 2013.

Von heute an bis zum 14. November sind die hier ausgestellten Werke zu sehen. Das Besondere an der Kunstkantine ist, dass der Galeriebetrieb mit einem Mittagsrestaurant ergänzt wird. Die Kunst ist also hier nicht brotlos. Sie können sich mit der Kunst hier zum Lunch verabreden. Und natürlich freuen wir uns auch, wenn sie nur auf ein Glas Kaffee oder eine Tasse Wein vorbeischauen.

Wenn Sie ein Bild interessiert, wenden sie sich bitte an die Galeristin, Nisvican Roloff-Ok, die Initiatorin der Kunstkantine.

Nun aber zu der Kunst, die hier zu sehen ist und in diesen ersten Minuten meiner Rede möchte ich Ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die hier ausgestellten „Köpfe“ lenken. Die Künstlerin nennt diese Bilder „Köpfe“, aber was sind sie genau und was ist Besonderes an ihnen zu entdecken?

Nach Format und Bildausschnitt handelt es sich bei diesen Werken um Portraits in der sogenannten Frontalansicht, auf Kunstfranzösisch mit “en face“ bezeichnet.

Konventionell und historisch hat das Portrait folgende Funktion:

„Erinnerung an einen individuellen Menschen, der wegen sozialem Rang, durch seine Persönlichkeit oder durch besondere Taten bildnisswürdig ist“.

Historische Beispiele sind in diesem Kontext vor allem sogenannte „Herrscherbilder“. Interessant sind auch sogenannte „Stifterbilder“ in denen Wohltäter sich gerne in etwas heroisierter und in gelifteter Form malen lassen.

Heute findet man Portraits mit dieser Art Glorien-Anmutung z.B. bei Tattoo-Portraits. Portraits als Tätowierungen sind gerade angesagt, gelten allerdings als besonders fehleranfällig und angesichts der Episodalität von Zweierbeziehungen in der heutigen Zeit sollte man auch im anfänglichen Rausch der Sinne besser darauf verzichten, sich ein Bildniss von Herzdame oder Herzbube stechen zu lassen.

Das wichtigste Portrait in heutiger Zeit ist das sogenannte „Selfie“, also das von sich selbst geschossene Digitalfoto. Häufig wird es deswegen angefertigt, um es anschliessend in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Das Wort „Selfie“ ist exakt 12 Jahre alt. Es tauchte 2002 am 13.09.2014 zum ersten Mal in dem australischen Internetforum namens „ABC-Online“ auf. Seit 2013 ist der Begriff „Selfie“ in das Oxford-Englisch-Dictionary aufgenommen und wurde 2013 auch gleich zum Wort des Jahres gekürt.

Es ist davon auszugehen, dass das klassische Wort „Selbstportrait“ völlig vom dem „Selfie“ in Neusprech verdrängt wird. Wahrscheinlich wird das Wort Portrait im Laufe der Zeit insgesamt verschwinden. In der neuen deutschen Rechtschreibung wird Portrait es jetzt mit Ä geschrieben und sieht komisch aus. In 20 Jahren werden wir also nicht mehr vom Portrait der Mona Lisa, sondern vom Selfie der Mona Lisa sprechen. Darauf wette ich. Es ist völlig aussichtlos gegen das Selfie zu kämpfen.

Das klassische Portrait hatte die Funktion das Modell oder die Vorlage möglichst genau und natürlich abzubilden und außerdem wollte man im günstigen Licht oder jedenfalls im richtigen Licht erscheinen. Wenn wir heute diese alten Schinken ansehen, finden wir das durchaus amüsant, aber in der Zeit vor Photografie und Photoshop musste man eben die Gelegenheit nutzen, von sich selbst ein positives Erinnerungsstück zu schaffen. Heute ist ein Portrait jederzeit machbar und greifbar und wir würden es ermüdend und spießig finden, wenn zeichnerische Passfotos an der Wand hängen würden.

Unsere Künstlerin verfolgt bei Ihren Köpfen und auch bei anderen Gemälden, wie z.B. bei den so betitelten PAAREN das Konzept der sog. Dekonstruktion. Das Figurative und Naturalistische wird aufgelöst, ohne völlig zu verschwinden. Auflösung ist der Kernbegriff der Dekonstruktion. Konturen und Linien, die das Gegenständliche abbilden, werden verändert, verschoben, verfärbt, vaporisiert, mesmerisiert, fermentiert oder wie man den Begriff der Auflösung noch näher fassen will. Ja, auch fermentiert. Wer jemals in einem japanischen Restaurant vor einer Schüssel fermentierten Tintenfisch gesessen hat, weiß wovon ich spreche.

Dekonstruktion ist ungleich Abstraktion. Der abstrakt arbeitende Künstler nimmt sich gleich zu Anfang vor, losgelöst vom Figurativen zu arbeiten. Bei der Dekonstruktion gibt es gewissermaßen einen figurativen Anfang oder einen figurativen Kern oder Keim und daraus entsteht dann etwas, das sich aus dieser Grundsubstanz ableitet.

Man muss bei diesem Ansatz allerdings darauf achten, dass man es mit der Dekonstruktion nicht übertreibt. Es ist praktisch so, als wenn man Sprühsahne auf eine Hummersuppe aufsprüht. Zuerst hat man noch profilierte Kringel drauf, aber das Sahnehäubchen tritt schnell in die Phase der Dekonstruktion ein. Es löst sich auf. Jetzt muss man dem Verlangen widerstehen, umzurühren, sonst hat es die Sprühsahne nie gegeben.

Dekonstruktion durch Auflösung also. Wie bei einer Gleichung mit mehreren Unbekannten stellt sich dem Künstler die Frage, nach welcher Variable er auflösen will. Nach welcher Variable X oder Y löst unserer Künstlerin ihre Köpfe und Figuren auf ?

Sie, meine Damen und Herren sind aufgerufen, hier Thesen zu formulieren. Das macht Spaß. Meine Damen und Herren, Brigitte Dahmen-Roscher ist mit profundem neurologischen Wissen ausgestattet. Dementsprechend kann eine Interpretation sein, dass die dekonstruktive Auflösung der Portraits und Figuren in Richtung eines Wahns erfolgt. Nehmen wir mal diesen eindrucksvollen Kameraden hier. Das Bild heißt „Schrei auf Schwarz“. Was quält ihn ? Wieso schreit er ? Was sollen die Farben ? Könnte auch z.B. ein Thermographie-Bild sein. Kopf und Lippen sind rot also besonders warm, Wangen und Nasenflügel sind grün und weiß, also kälter.

Unsere Künstlerin betont, dass der Betrachter die volle Interpretationsmacht hinsichtlich Ihrer Werke hat. Insofern wollen sie bitte in den Köpfen sehen, was sie sehen wollen. Bei dem „Kopf auf Schwarz“ können sie auch beispielsweise eine soziale Deutung vornehmen.

Der männliche anzugtragende Versorger der in der winterlichen Dunkelheit des frühen Morgens von der in den Vorort-Bahnhof einfahrenden Hochbahn prismatisch erleuchtet wird. Gleich tritt er seine Fahrt zur Arbeit an. Was schreit er ? Wahrscheinlich irgendeinen Fluch. Was treibt ihn um? Wählt er die Alternative für Deutschland? Hat er schon das neue IPone6? Schreit er, weil er es verbogen hat? Wird er sich in der U-Bahn neben den fiebrig schwitzenden Mann mit dem T-Shirt setzen, auf dem steht : Welcome to Liberia? Sie merken, es wird langsam aufregend. Mit jeder eigenen Deutung des Betrachters wird ein neues Kunstwerk geschaffen.

Der berühmteste Maler, der als Zeitgenosse oft dem Konzept der Dekonstruktion gefolgt ist, war Francis Bacon.

In welche Richtung und mit welchem Zweck Bacon sich in der Dekonstruktion übte, ist vortrefflicherweise so streitig, dass man darüber lange Texte ausfabulieren kann und dabei die Zeitgeschmäcker verarbeitet. Die einen schreiben, dass Bacon seine männlichen Motive so verfremdete, dass sie das spezifisch Männliche bis hin zu Leiden und Gewalt ausdrückten.

Andererseits finden sich Autoren, die bei Bacon von einer „Dekonstruktion der Männlichkeit“ sprechen, im Kontext der sogenannten Genderdiskussion. Bacon habe der Maskulinität ihre Maske entrissen. Männlichkeit wäre ebenso sehr wie Weiblichkeit vor allem ein gesellschaftliches Konstrukt, ein Erzeugnis der Kultur. Das Geschlecht würde erst durch Erziehung und Gesellschaft erzeugt und sei nicht genetisch vorgegeben.

Ob das so stimmt, ist jetzt mal egal. Genetisch vorgegeben ist aber offenbar die Leidenschaft unserer Künstlerin für die Landschaftsmalerei, denn schon ihr Großvater hat sich damit intensiv beschäftigt. Unsere Künstlerin ist Mitglied einer Künstlergruppe auf Eiderstedt, in der überwiegend die norddeutsche Landschaft zum Thema gemacht wird.

Wer immer Interesse an einem Landschaftsbild hat, sollte in diesen Tagen zugreifen. Landauf und landab werden die Landschaften mit unendlich vielen Windkraftanlagen dekoriert. Derzeit ist in Hamburg gerade die große Messe für Windenergie. Gleich am Eingang ist ein beeindruckendes 65 m langes Rotorblatt aufgeständert. Das ergibt dann ein einen Quirl von mindestens 130 Metern. Die naturalistische Darstellung einer Landschaft nach der Energiewende wird also in Zukunft den Horizont nicht mehr ohne eine Anzahl von Riesenrotoren zeigen dürfen. Greifen Sie also zu, wenn Ihnen, wie bei uns, der Horizont noch ohne Windräder vorgemalt wird. Horizonte in Deutschland ohne Windräder werden in Zukunft ein knappes Gut werden.

Haben sie es gemerkt, meine Damen und Herren. Der Laudator hat soeben die Überleitung von den sich dekonstruierenden Köpfen zu den ausgestellten Horizonten geschafft. Die Damen haben es bestimmt gemerkt, die Herren haben, genetisch vorgegeben, vor allem Autos im Kopf. Deswegen für euch auch nochmal eine Überleitung : Der neue Ford Mustang kommt 2015 mit einem Fahrprogramm auf den Markt, mit der sich ein 15 Sekunden langer Burnout provozieren und das Reifenprofil der durchdrehenden Hinterräder in Rauch auflösen lässt. Das ist die Dekonstruktion. Und wenn die Dekonstruktion erledigt ist, fahrt ihr mit dem Neuen Ford Mustang dem Horizont entgegen. Wer nicht bis 2015 warten kann, kauft sich hier einen dekonstruierten Kopf der nach hoher Mobilität aussieht und einen Horizont dazu.

Die von unserer Künstlerin hergestellten Horizonte folgen in ihrer Aufteilung überwiegend dem sog. „goldenen Schnitt“. Bei Horizont-Bildern bedeutet goldener Schnitt im Groben, das 1/3 Land oder Wasser und 2/3 an Himmel gezeigt werden. Der goldene Schnitt bewirkt, dass man von der Bildkomposition angezogen, jedenfalls aber nicht abgeschreckt wird. Spätestens ab 2/3 Land und nur 1/3 Himmel, sieht der Himmel gequetscht aus, irgendwie nach DDR, wo die Leute ja nicht viel vor die Tür kamen. Ab nur noch ¼ Himmel beginnt dann die Hoeneß-Perspektive, also Marke Zellenfenster. Da bekommt das Ganze dann eine bedrückende und beengende Anmutung. Man sehnt sich nach Freigang.

Interessant ist bei Horizont-Bildern stehts, was dort passiert, wo die Himmelsfläche an die Land oder Wasserfläche stößt. Es ist der Bereich der sog. terrestrischen Refraktion : Die Brechung des Lichtstrahls in der untersten Erdatmosphäre. Hier passiert so Einiges. Das Sonnenlicht färbt sich ein und außerdem wird es auch noch gebogen. Wenn wir die Sonne im Wasser untergehen sehen, ist sie geometrisch gesehen schon längst untergegangen. Nur die Krümmung des Lichtstrahls durch die Atmosphäre bewirkt, dass wir sie noch sehen können. Der Effekt der terrestrischen Refraktion ist erheblich. Schon über eine Distanz von 10 Km beträgt die Abweichung 1 m. Wer sich näher für dieses Phänomen interessiert, kann sich an der HafenCity-Universität beim Institut für geodätische Messtechnik einschreiben. Wenn sie bei uns aus der Tür gehen, links runter und dann immer geradeaus. Ist nicht weit.

Ja, meine Damen und Herren, bevor ich jetzt von meiner Laudatorentreppe abtrete und durch die Reihen gehe, um zu kontrollieren dass sie die Begriffe Dekonstruktion und Refraktion nicht durcheinanderbringen, kommen jetzt noch die Danksagungen.

Dank an Brigitte Dahmen-Roscher für die Überlassung der wunderbaren Exponate.

Dank an die Mannschaft der Kunstkantine für die Organisation dieser Vernissage.

Und vor allem Dank an Sie, liebe Gäste, für das Erscheinen hier heute Abend und für Ihre Aufmerksamkeit beim Zuhören.

Ich wünsche uns allen einen schönen Abend und eine gute Zeit.

Vernissage

Exponate

Nissis Kunstkantine

Kunstgalerie & Eventlocation
Am Dalmannkai 6
20457 Hamburg (HafenCity)

Mo – Fr 12-16 Uhr
Und nach Vereinbarung

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