Laudatio Dietmar Linke, Nissis Kunstkantine, 28.11.2017
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste, willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity.
Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote – Speaker der Kunstkantine und darf Euch heute auf das Herzlichste begrüßen zur 36. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013.
Die Vernissage gilt den Werken von Dietmar Linke.
Hallo, lieber Dietmar,
„the artist is in da house“, meine Damen und Herren. Man hat mir gesagt, dass die Künstler immer ziemlich leiden, wenn die Laudatio auf sie gehalten wird. Vom Peinlichkeitslevel ungefähr so schlimm wie das Lernentwicklungsgespräch in den pubertätsrelevanten Schuljahren. Günter Zint, die Hamburger Fotografen-Legende, hat zu mir gesagt: „Nimm es als Kompliment, wenn sie im Saal bleiben.“ Bisher ist bei mir nur ein Künstler rausgelaufen. Sicherheitshalber sollte heute vielleicht jemand die Tür zuhalten.
Die Vorbereitung einer Laudatio erfordert immer ein gewisses Wohlwollen für das Werk des Künstlers, der nun gerade ausgestellt werden soll. Mein großes Keynotespeaker-Herz öffnet sich also für die Kunst, die da kommen soll und so eine Woche vor der Vernissage werfe ich dann einen ersten Blick auf die Exponate, die Gudrun Thiepold, unsere Chief of Art Operation COA, auf die Website von Nissis Kunstkantine geschraubt hat.
An dieser Stelle kommt dann Betty ins Spiel, sie ist meine Assistentin. Sie sitzt mir im Büro gegenüber. Sie hat Ihren Bildschirm und ich hab meinen, wir sehen beide dasselbe. Sie ist Herrscherin über Tastatur und Maus und über meine Ungeduld.
„Wenn du mich anmoserst, geht das auch nicht schneller“, bekomme ich mindestens zweimal die Woche zu hören. Die Steigerung dazu ist: „Wenn du nochmal ausflippst, lasse ich mich für den Rest der Woche krankschreiben.“ Wir haben schon mal daran gedacht, eine Kamera in unserer Bude anzubringen und unser sozialkompetentes Pingpong aufzunehmen. YouTube-Kanal „Betty und Bernds Büro“.
Ich sage also zu Betty: „Mach mal Kunstkantine, nächster Künstler.“ Sie sagt „Oui mon General“. Die Seite baut sich auf, wir setzen unsere Lesebrillen auf.
Aha, meine Damen und Herren, diese Ausstellung hat den Titel
Traditionell und Experimental
Ich sage zu Betty: „Sag mal, das muss doch „traditionell und experimentell“ heißen, oder? Ruf mal Gudrun an, das muss geändert werden“.
Betty sagt zu mir: „Wir rufen nirgendwo an. „Experimentell“ bedeutet „auf Experimenten beruhend“, „experimental“ bedeutet „mit Experimenten verknüpft“. Also bitte, die Kunst resultiert doch nicht aus Experimenten, sondern die Werkschaffung beinhaltet Experimente. „Experimental“ passt also besser.“
Frauen haben immer das letzte Wort, alles was der Mann danach sagt,
ist ein neues Thema.
Also, meine Damen und Herren, willkommen zur Vernissage für die Ausstellung
Traditionell und Experimental,
die bis zum 22.01.2018 in der Kunstkantine zu sehen ist.
Die Ausstellung geht also über die vorweihnachtliche Saison und den Jahreswechsel hinaus. Ich habe mich gefragt, was das abwegigste Thema für diese Zeit des Friedens, der Harmonie und der Geflügelbratensaison sein könnte. Es gibt doch nichts Schöneres als das völlig Unerwartete. Ich danke dir, lieber Dietmar, dass du dieses Thema bedienst.
Gemeint sind deine Stierkampfbilder.
Noch nicht mal in Spanien ist jetzt Stierkampfsaison. Die geht nur von April bis Oktober, folgt also in etwa der Grillsaison, in der die Steaks nicht groß genug sein können. Und jetzt, wo sogar Donald Trump zu Thanksgiving dem Truthahn die Freiheit schenkt, bringst du uns hier Stierkampfbilder an.
Exemplarisch zeigt jetzt Betty mal das Werk
„Torero mit Stier“:
Und dann schreibt mir Dieter auch noch einen ungenierten nonkonformistischen Kommentar dazu:
„Die Begegnung zwischen Mensch und Tier oder Stier und Matador erlebte ich wie Tanzszenen aus einem modernen Ballett.
Dramatisch, intelligent und elegant zugleich, wie beide sich begegnet sind.
Das Ritual, der Matador der mit der Capa den Stier anlockt und sich mit einer grazilen Drehung aus der Gefahr der tödlichen Hörner heraus bewegt, hatte etwas von einer modernen Choreografie. Genau das sollen meine Bilder in ihrer Farbigkeit ausdrücken.“
Na, ja mein Lieber, ob ich das gelten lassen soll. Wenn wir das Bild auf unserer Facebookseite posten, dann haben wir im Handumdrehen eine Tierschutzdemo vor der Tür.
Ich verbinde mit dem Stierkampf keine negativen Assoziationen. Es muss wohl Anfang der 70er gewesen sein, als ich mit meiner Mutter in Malàga beim Stierkampf war. Verwundert sahen wir zunächst den Preisaushang für die Tickets an. Plätze im Schatten „sombra“, waren teurer, als in der Sonne „sol“. Dicht dran oder weiter weg war egal. Wir entschieden uns für Schatten und weiter weg, damit man kühlem Kopf das blutige Schauspiel beobachten konnte.
Verstehen Sie mich richtig, meine Damen und Herren: Hamburg hatte damals ein einziges vegetarisches Restaurant, nämlich in den Alsterarkaden. PETA und irgendwelche Tierschutzorganisationen waren unbekannt.
Um es mit Karl Marx zu sagen: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Fleischmahlzeiten waren Statussymbole, so wie der Mercedes, der gute Stern auf allen Straßen.
Zur Erinnerung, meine Damen und Herren, der „Tod am Nachmittag“ von Ernest Hemingway zerfällt in drei Akte:
Im ersten erfolgt die „Prüfung durch die Lanzen“. Der Stier greift die Picadores (Lanzenreiter) an und wird von den Berittenen durch Nackenstiche gereizt. Im zweiten Akt platziert der Stierkämpfer die Banderillas im Stiernacken. Im dritten Akt, der Faena, besiegt der Matador den Stier im Zweikampf zu Fuß, indem er mit der Muleta den Stierkopf niederzwingt und somit den Degen zum Todesstoß zwischen die Schulterblätter setzen kann. Die Stierkampfbilder von Dietmar fallen sämtlichst in die 2. Phase, also den Banderilla Abschnitt.
Wenn Sie eines dieser Bild kaufen und aufhängen, meine Damen und Herren, haben Sie sicherlich Gesprächsstoff und das wird sich nicht auf den Malstil, den ich als modern romantisierend-naiv bezeichnen würde, beschränken. Falsch ist die Behauptung, dass der Stier nur zum Spaß getötet wurde. Tatsache ist, dass die gastronomischen Betriebe in der Umgebung von Stierkampf-Arenen sich geradezu darum reißen, den Kadaver zu verwerten. Allerdings kann man verschiedener Meinung über den Stierkampf selbst sein. Wird der Stier zum Vergnügen gequält oder bereitete man ihm einen heroischen Abgang in den Fleischtopf? Eine abendfüllende Diskussion ist garantiert.
Den nächsten Aufreger finden wir in der Fotoauswahl von Dietmar. Die Fotos werden nicht gezeigt, weil alles, was unter dem Ladentisch ist, besonders interessant sein kann. Sie gehören aber zur Ausstellung. In diesem Kontext ein Blick auf das Werk F6 DL :
Auch hier eine Darstellung, die nicht unbedingt weihnachtsbaumtauglich ist. Düster wie aus einem Folterkeller. Der Bildaufbau verstörend, das Gesicht verhüllt durch davor hängende Haare. Ob die drei Löcher in der Frau auf irgendwas anspielen, darüber möchte ich hier nicht nachdenken.
Aber, meine Damen und Herren ! Ganz wichtig ! Das Stilmittel der vorgekämmtem Haare hat einer Film-Trilogie zu einem Welterfolg geführt. Gemeint sind die Filme mit dem Titel „The Ring I – III“.
Meine Damen, wenn Sie Ihren Partner erschrecken wollen, jetzt in der dunklen Jahreszeit klappt das bestimmt sehr gut, wenn sie sich die Haare vors Gesicht kämmen und im zauseligen Nachthemd auf ihn zu wanken. Vielleicht sollte man dabei noch etwas knurren.
Ich werde das mal meinen Töchtern empfehlen, damit sie ihren phlegmatischen Bruder mal etwas aufschrecken. Man erwischt ihn nachts bestimmt auf dem Weg zum Kühlschrank.
Wir haben in unserer Einladung zu dieser Ausstellung geschrieben:
„Glasmaler, Theatermaler und Set-Designer, in diesen Berufen war Dietmar Linke stets sehr gefragt. Staatsoper, Schauspielhaus, Werbung und Fernsehproduktionen sind Stationen seiner Karriere. Er wurde nominiert für den Deutschen Fernsehpreis und ist stets präsent durch die Kampagnen für „Wodka Gorbatschow“. Die Tatort-TV-Gemeinde kennt seinen Namen aus vielen Abspännen. Einen Namen hat sich Dietmar Linke aber auch als freischaffender Künstler gemacht, der immer wieder mit neuen Sujets experimentiert.“
Ich würde sagen, das Experimentelle oder Experimentale habe ich jetzt kommentiert. Herzstück der Ausstellung sind farbstarke Acrylgemälde wie „Stadtlandschaft“ und „Night Boulevard“.
Zwischen beiden Gemälden liegen 25 Jahre und trotzdem haben sie so vieles gemeinsam, als wären sie nacheinander entstanden.
Die Bilder weisen in ihrer Struktur eine Segmentierung und Gitterstrukturen auf. Jedes Segment grenzt sich durch eine Kontur von dem anderen ab. Das ist die Wirkung im Detail. Da schlägt bei Dietmar der Glasmaler durch. Zusammengesetzt ergeben die Segmente eine Gesamtwirkung wie bei einem großem bemalten Glasfenster. Immer ist es gerade die Spannung zwischen der Ausarbeitung des Details oder des Segmentes im Verhältnis zur Gesamtwirkung. Die Moderne lehnt das Ornament, das nur eine Gesamtwirkung hat, als überflüssig ab. Bei Dietmar finden wir eine Agglomeration von ausgearbeiteten Segmenten mit Einzelwirkung und trotzdem beeindruckt auch die Gesamtwirkung.
Ich habe ein wenig nach Vergleichbarem bin aber nicht so fündig geworden.
Was Dietmar macht, ist weder Hundertwasser noch Frank Gehry
Also, lieber Dietmar, eigenständige künstlerische Handschrift und tapfer über Jahrzehnte durchgehalten. Wieder lange vor „Night Boulevard“, nämlich 1986 malt Dietmar „Landscape“
Für mich das absolute Highlight der Ausstellung. Offensichtlich war hier nicht der Glasmaler, sondern der Set-Designer in Dietmar Linke zu Werke gegangen. Ein Acrylgemälde, das gleichzeitig Wärme und Intensität ausstrahlt, aber auch Melancholie und Ödnis transportiert.
Mancher kann sich vielleicht noch an den Film „Paris, Texas“ erinnern. Der Film kam ein Jahr vorher raus und erzählte eine mühsame Liebesgeschichte zwischen einer jungen Peepshow-Akteuse, gespielt von Nastassja Kinski, und dem vor sich hin alternden Harry Dean Stanton im staubigen, sonnenverbrannten Texas. Der Film bekam unter anderem den Deutschen Filmpreis. Dietmar war immerhin nominiert für den Deutschen Fernsehpreis wegen eines von ihm entwickelten Film-Sets, was auch schon eine große Ehrung bedeutet.
„Mit dem Rücken zur Wand“, so hieß der Film, verortet als in Hamburg spielendes Sozialdrama, produziert von ARTE und ZDF, wenn ich richtig gelesen habe.
Meine Damen und Herren, wenn ein Künstler aus seinem poetischen Charakter und aus seinem Können unterschiedliche Sujets bespielen kann, dann kann man das ein „prismatisches Werk“ nennen. Wir erinnern uns an das Cover des Pink Floyd Albums „Dark Side of the Moon“, von wegen Prisma:
Hier links fährt im weißen Strahl die Inspiration in den Künstler, der ist das Prisma, hinein. Der Strahl kommt aber nicht weiß wieder raus, sondern zerlegt sich in verschiedene Farben. Das sind die Werkformen, eben was der Künstler aus seiner Inspiration machen kann.
Dietmar Linke verfügt in diesem Sinne über zahlreiche Talente und Fähigkeiten, mit denen er seine Inspiration umsetzen kann. In den nächsten zwei Monaten ist hier in der Kunstkantine ein Ausschnitt seines Oevres zu sehen. Sollte sich bei Ihnen schon heute spontan oder später bei einem Besuch in der Kunstkantine ein Kaufimpuls manifestieren, so sprechen Sie bitte meine Frau Nissi an. Sie ist Initiatorin und Namensgeberin der Kunstkantine und beherrscht die Kunst des preisstabilen Verkaufens.
Dietmar, an dich geht mein Dank, dass ich dein interessantes Werk kurz vorstellen durfte.
Meine Damen und Herren, meine Corrida geht nun zu Ende. Vielen Dank fürs Zuhören, bleiben Sie der Kunstkantine auf jeden Fall auch im neuen Jahr treu. Ich möchte Ihnen schon jetzt eine schöne Weihnachtszeit im Kreise Ihrer Lieben wünschen und außerdem prismatische Freuden jeder Art über die Feiertage!
Bernd Roloff