# „Flucht.Punkt.Perspektiven“
Einladung
Rückseite
Die Formatierungen der Laudatios werden derzeit überarbeitet. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Laudatio
Laudatio Dirk Brüggemann, Nissis Kunstkantine, 26. April 2017
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste, willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity.
Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote – Speaker der Kunstkantine und darf Euch heute auf das herzlichste begrüßen zur 30. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Ich werde heute wieder assistiert von meiner Assistentin Betty, die Schild und Schwert unseres Kunstbetriebes ist.
Die Ausstellung gilt den Werken von Dirk Brüggemann und steht unter dem Motto
FLUCHT.PUNKT.PERSPEKTIVEN.
Was soll dieses Motto? Dirk hat mir zum Wort „Flucht“ gesagt, dass sich jeder selbst aussuchen kann, wovor er flüchten möchte. In diesem Kontext ist mir etwas aufgefallen. Wir feiern zwar schon die 30. Vernissage, aber in der Ausstellung findet sich zum 1. Mal ein Bild mit eindeutigem politischem Anklang. Es hat den Titel „Whose shit is this?“
Offensichtlich verbinden wir mit den vermummten Kriegern auf den Pick-Up-Ladeflächen sofort den IS. Scheint zutreffend zu sein. Die Vorderseite ist auf dem Bild zu sehen. Die andere Seite der Medaille kann man z.B. auf dem Cover von „Dabiq“ sehen, das ist das Hochglanz-Magazin des „islamischen Staates“, in dem er seine Verbrechen und Unmenschlichkeiten abfeiert.
„Dabiq“ ist die Stadt, in der nach der Mystik des „islamischen Staates“ der Endkampf zwischen Gut und Böse stattfindet. Im Hinblick auf das Wort „Flucht“ ist es Gott sei Dank so, dass der „islamische Staat“ sich militärisch auf dem Rückzug befindet. Das ist aber nur der territoriale „islamische Staat“, die Ideologie des „islamischen Staates“ wird durch Anschläge und Terrorismus wie zuletzt in Paris in der vergangenen Woche weiter Angst und Schrecken verbreiten.
Im Gegensatz zum düsteren Angst und Schrecken befinden sich große fröhlich wirkende Punkte auf dem Gemälde. Hierzu der Künstler:
„Die farbigen Punkte werden bewusst als grafische Störer der gegenständlichen Komposition eingesetzt. Die Punkte sind ein abstrahiertes Symbol des Lebens im Mikrokosmos und auch des Makrokosmos. Sie umgeben uns weiterhin seit frühester Kindheit im Bällebad und auch am Ende unseres Lebens kneten wir im Seniorenstift leicht oder schwer dement wieder fröhlich darauf herum. Der Kreis schließt sich also mit dieser ambivalenten, aber positiven Assoziation.“
Bällebad und Bälle kneten – nun denn, meine Damen und Herren – hier hatte ich es einmal gewagt, den Künstler um Assoziationshilfe zu bitten. Ansonsten leben wir – wie ich hier von meiner Laudatorentreppe – immer wieder betone, im Zeitalter der Rezeptionsästhetik. Sie, meine Damen und Herren, haben die Deutungshoheit über die hier ausgestellten Werke. Wenn Sie Punkte vor den Augen sehen, dann geben Sie ihnen einen Sinn. Am besten, Sie bewerten sie positiv, wie auch den Hirschen, der auf dem Bild das Krafttier symbolisiert. Sie dürfen assoziieren, ich auch. Der Hirsch symbolisierte in abschweifenden Traumszenen in einer von mir sehr geliebten Fernsehserie den Hauptprotagonisten. Zugleich lieferte dieser Hauptprotagonist in einem Zitat einen Vorschlag, wie man mit unhöflichen Leuten, wie dem „IS“, umgehen sollte.
„Eat the rude“ meine Damen und Herren, die Unhöflichen sollte man einfach aufessen. Von wem stammt nun der Spruch „Eat the rude“? Pirschen wir uns mit einem 2. Bild mal näher ran:
Hier ist der Protagonist schon mal im Profil zu sehen, ein ganzer Hirsch wurde unter ihm abgedruckt. Nein, es ist nicht Stromberg! Von Stromberg stammt der Spruch: „Man muss den ganzen Hirsch erschießen, auch wenn man nur das Geweih will.“ Ich löse weiter auf:
Hier sehen wir unseren Protagonisten bei einer seiner Mahlzeiten: „Keep calm and eat the rude.“ Also, ruhig bleiben und die Unhöflichen verspeisen. Ohne Text ist er dann besser zu erkennen. Hier haben wir ihn:
Hannibal Lecter, gespielt in der Fernsehserie von Mads Mikkelsen, in den Filmen wird er gespielt von Anthony Hopkins. Der Vorschlag, den „IS“ zu verspeisen liegt in seiner Absurdität durchaus auf der Linie des Künstlers, den wir hier ausstellen.
Ich habe Dirk die Frage gestellt: Was wünscht du dem Käufer deiner Werke im Hinblick auf die Wirkung des Kunstwerks?
Antwort: „Das nach einer ersten Verstörung der Humor seine inspirierende Wirkung nachhaltig entfaltet.“
Nochmal: „Das nach einer ersten Verstörung der Humor seine inspirierende Wirkung nachhaltig entfaltet.“
Tja, meine Damen und Herren, humoristische Assoziationen sind also erlaubt. Letzten Endes umweht das Bild dann doch wieder eine melancholische Bitterkeit, wenn es fragt:
„Whose shit is this?“
Auf welchem Mist, meine Damen und Herren, ist der „islamische Staat“ gewachsen?
Da gibt es ja manche Verschwörungstheorie oder den Meinungsmainstream. Wollen wir jetzt was davon hören, ich glaube nicht. Aber es ist wichtig dass wir hier in der Enklave des Schönen auch mal was Politisches aufhängen.
Mads Mikkelsen, der Hauptdarsteller von „Hannibal“ wurde mal gefragt, warum er so gerne harte Typen in blutigen Filmen spielt. Seine Antwort war:
„Die spiele ich, weil es um was gehen muss. Filme, in denen Menschen glücklich sind und viel Obst essen, geben nichts her.“
Film ist jetzt das Stichwort, wenn ich zu einem anderen Bild umschwenke:
„Isolymphia“ meine Damen und Herren. Ein Werk mit einem beeindruckendem Format von 290 x 143 cm. Der Herr rechts ist in der Rolle von Robin Hood eindeutig zu identifizieren. Seine Pose stammt von dem Filmplakat „the Adventures of Robin Hood von 1938, wie ich herausgefunden habe.
Der Künstler gibt als Herstellungsart seines Gemäldes „Öl auf digitalem Composing“ an. Das Motiv wird am Computer überarbeitet, bzw. auf „Isolymphia“ wird auch eine Komposition vorgenommen. Das ganze wird dann auf ein PVC Banner gedruckt und schließlich geht der Künstler mit Ölfarbe zu Werke.
Schöne Sache, ich wüsste jetzt nicht, wo ich so etwas schon mal gesehen hätte und dann dieser dramatisch strahlende Robin Hood. Ihm ist der Bogen aus der Hand genommen worden. Wie man sieht, ist er am Bälle kneten. Keine schlechte Anspielung. Der Hauptdarsteller von „The Adventures of Robin Hood“, der Schauspieler Errol Flynn, starb mit 50 Jahren an Alkoholismus. Also entweder Bälle Kneten immer wenn die Sucht kommt oder als haptische Therapie für den Frühdementen, der sich den Verstand weggesoffen hat.
Auf der linken Bildhälfte sehen wir eine „Olympia“, die offensichtlich bei Edouard Manet „entliehen“ wurde.
Die „Olympia“ ist ein Skandal-Gemälde von 1863. Modell für das Bild war Victorine Meurent, damals noch im Teenie-Alter. Edouard Manet und Errol Flynn gleichen sich in ihren Biografien durchaus. Ihre Lichter brannten kurz aber hell. Manet starb mit 51 Jahren an tertiärer Syphilis, wobei ihn zum Schluss auch Ataxien und ein Tremor quälten. Biografisch ist allerdings nichts darüber bekannt, ob er zur Physiotherapie Bälle knetete.
Großen Gemälden und großen Künstler haftet stets auch ein Schuss Drama an. So bleiben sie uns in Erinnerung und werden hochdotiert. Lange wurde in der Kunsthistorie kolportiert, dass auch Victorine Meurent, das Modell von Manet, sich lebensverkürzenden Süchten hingegeben hätte. Das stimmt aber nicht. Sie wurde 83 Jahre alt, malte und zeichnete selbst, wenn gleich ihre Werke heute vergessen sind. Insofern Brüggemann seiner „Isolymphia“ einen Schleier verpasst hat, passt dies auf ihre Biografie. Sie war das Motiv einer der bedeutendsten Bilder der Kunstgeschichte, aber ihre Persönlichkeit und ihr künstlerisches Wirken ist vergessen.
In der Ankündigung unserer Ausstellung auf der Online-Präsenz von Nissis Kunstkanine wurde Folgendes geschrieben:
„Viele der zum Teil großformatigen Bilder sind geprägt von einer schwermütigen Leichtigkeit, die den Betrachter über ihre abgründige Situationskomik verstört bzw. koordinatenlos reagieren lässt. Die Werke überraschen durch einen Humor, mit dem die Bildelemente in einem spannungsreichen Schwebezustand gehalten werden.“
Ehrlich gesagt, habe ich diese Sätze zunächst für Geschwafel gehalten. In einer Humoreske über Vernissagen sind 3 Vorschläge für passende Kommentare abgedruckt, wie man das Gesamtwerk eines Künstlers würdigen soll. Hier die Auswahl:
1. „Der Gute hat etwas Animalisches, das aber unglaublich human abgefedert ist.“
2. „Diesen elegischen Pinselstrich, gepaart mit dieser Wucht der Imagination, macht ihm niemand nach.“
3. „Kühne Mischung aus Schwere und Leichtigkeit – einfach genial.“
Tatsächlich passt der 3. Satz mit der kühnen Mischung aus Schwere und Leichtigkeit nun kurioser Weise sehr gut zum Werk von Dirk. Olympia verschleiert ihr Gesicht, ihr Körper ist aber entschleiert. Robin Hood ist am Bällekneten und den „islamischen Staat“ holt der Hirsch. Wer meinen Ausführungen zu Hannibal Lecter und „eat the rude“ nicht folgen konnte, also dem Vorschlag, die Unhöflichen aufzuessen, nicht folgen konnte, hat es vielleicht mehr mit dem Trinken. Trinken geht auch mit Hirsch, nämlich beim Jägermeister.
Ich hoffe, einige können sich noch an den Kampagnen-Klassiker „Ich trinke Jägermeister, weil …“ erinnern. Hier ein Beispiel: „Ich trinke Jägermeister, weil der Sterbende Schwan einfach nicht totzukriegen ist.“
Auch hier hilft der Hirsch. Aber nicht zu viel davon. Wir wollen nicht wie Errol Flynn enden. Dirk setzt Humor auf seinen Bildern bewusst ein. Er schreibt mir:
„Mein Ansatz ist es nicht, inhaltsschwere elegische Szenarien zu komponieren und den Betrachter etwas Schwermütiges zum Nachdenken zu präsentieren, sondern eine neue positive Aufarbeitung philosophischer Gedanken, alltäglicher Motive et cetera. Humor wird in der bildenden Kunst ja meist als „nicht ernsthaft“ interpretiert, beinhaltet aber definitiv als Charaktereigenschaft ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zu Fanatikern, Rassisten und anderen unangenehmen Zeitgenossen.“
Da hat er Recht, der Künstler. Und das Beste ist, sie können seinen ambivalenten Humor mit nach Hause nehmen. Allerdings hat mir Dirk offenbart, dass er sich schwer von seinen Bildern trennt. Deshalb ist neben der Kaufpreiszahlung, wie er mir schrieb, „glaubhafte Begeisterung“ für das Werk notwendig, um es zu erwerben.
Ansatzpunkte für die glaubhafte Begeisterung gibt es nach meiner Auffassung genügend:
- Überraschungseffekte: Der Zauberer zieht keine Hasen, sondern Fische aus dem Zylinder. Olympia ist nackt, aber verschleiert.
- Zeitlosigkeit: Die Punkte tun ihr Werk. Wie war das noch? : Am Anfang des Lebens baden wir in Bällen, gegen Ende kneten wir Bälle. Wem das zu sarkastisch ist, der sagt einfach, dass die Punkte Anleihen aus dem russischen Konstruktivismus sind. Wenn die esoterisch angehauchte Erbtante zu Besuch kommt, erklären sie die Punkte zu Kreisen und damit zum Symbol für das Göttliche, das All-Eine und die unendliche Liebe im Unendlichen Meer der Möglichkeiten.
- Wuchtige Formate, meine Damen und Herren: Nicht kleckern, sondern klotzen. Es bedarf heute schon eines starken optischen Reizes um die Aufmerksamkeit des Zeitgenossen von Smartphones, Computern, Fernsehern und anderen Flimmerkisten loszureißen.
- In diesem Sinne auch eine sehr laute Bildersprache, ggf. sogar unterstützt durch Typo: „Whose shit is this“. – sage ich nur. Wenn Besuch da ist, schaffen Sie eine Quelle für Diskussionen.
- Ungewöhnliche Herstellungsweise : Ölmalerei auf PVC-Druck. Hatten wir noch nicht. Ist in Neusprech ein USP – ein unique selling point.
- Und schließlich alles was sie begeistert. Ich mag ja z.B. den Look der neuen Leipziger Schule und erkenne diesen Look in den Bildern von Dirk wieder. Dirk mag das nicht hören, schreibt mir aber andererseits: „Jeder gestaltet seine eigene Wahrheit.“
Ansprechpartnerin für den Kauf eines der Werke von Dirk ist meine Frau Nissi, Initiatorin und Namensgeberin der Kunstkantine. Die Ausstellung ist bis zum 30. Mai zu sehen. Wer sich heute noch nicht entschließen kann, Ist immer auch ein gern gesehener Gast zum Mittagstisch oder zu Events. Morgen um 19 Uhr gibt es z.B. wieder „Wissen vom Fass“, eine Vortragsveranstaltung Hamburger Universitätsdozenten. Bleibt also der Kunstkantine treu und amüsiert euch stets gut in diesem Hause. Heute Abend vor allem mit den Bildern von Dirk Brüggemann. Vielen Dank fürs zuhören und bis bald.
Bernd Roloff