Laudatio Maori Kunigo, Nissis Kunstkantine, 1. August 2018
Japan, meine Damen und Herren, Japan bereitete mir 1981 schlaflose Nächte. Ich war 17 Jahre alt und in diesem Alter gibt es zwei Dinge, die einen nicht schlafen lassen. Mädchen und Motoren.
In puncto Mädchen war das Schönheitsideal 1981 Farrah Facett aus „Drei Engel für Charlie“.
Foto in der Bildergalerie
In diesem Jahr wurde aber auch eine Design-Ikone des Motorradbaus erschaffen, die Suzuki Katana. Die sah anders aus, als alle anderen auf dem Markt befindlichen Krafträder. Ein für seine Zeit futuristisches Design, begleitet von einer dreisilbigen Modellbezeichnung, die sich nach einem Schlachtruf anhörte:
Katana!
Hier, meine Damen und Herren, eines meiner typischen Traumbilder von 1981:
Foto in der Bildergalerie
Suzuki Katana mit langbeiniger, blonder Schönheit inklusive Löwenmähne obendrauf.
Rückblickend betrachtet muss ich sagen, dass mich die Normalität meiner Sozialisation durchaus beeindruckt. Gibt ja heute viele Jungs, die erstmal keinen Führerschein mehr machen und zu oft an der Konsole hängen. Ansonsten ist Genderdiskussion. Der Bengel darf nicht mehr mit Panzern spielen, sondern bekommt eine Barbie-Puppe.
Im selben Jahr, nämlich 1981, wurde unser Künstler, den wir ab heute ausstellen, geboren. Maori Kunigo, Jahrgang 1981, Sohn japanischer Eltern, wurde in Gelsenkirchen geboren, – Klammer auf: Schalke 05! Klammer zu – und wuchs in Gladbeck – Klammer auf: Geiseldrama! Klammer zu – auf.
Und nun ist er hier, der Bio-Japaner, der aber Deutschland als seine Heimat bezeichnet.
Also:
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste, willkommen im
Bernsteinzimmer der HafenCity.
Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote – Speaker der Kunstkantine und darf Euch heute auf das Herzlichste begrüßen zur 42. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Zu meiner Rechten meine Assistentin Betty, die meinen Vortrag, wie ihr schon gemerkt habt, visuell durch das Hochhalten von Hardcopys unterstützen wird.
Die Ausstellung gilt den Werken von Maori Kunigo und steht unter dem Titel
„Ruhrpott Ninjas“
Das ist ja schon mal ein drolliger Titel. Ruhrpott als Hinweis auf die Provenienz unseres Künstlers, Ninjas hat es dort nie gegeben. Das Verhältnis von Ninjas zu Samurais gleicht dem Verhältnis von Geheimdienst zu Militär. Ninjas hatten im vorindustriellen Japan die Aufgabe zu spionieren und Anschläge durchzuführen. Verschlagenheit, Vermummung und eine Auswahl fieser Waffen gehören dazu. Der Samurai ist dagegen der edle Krieger, der sein Langschwert führt. Daher auch die Markenbezeichnung Suzuki Katana.
Vergnügen tritt immer durch das Unerwartete ein. Ruhrpott Ninjas also als unmögliche Konnotation. Hier ist also jemand mit Spaß bei der Sache.
Der Künstler schreibt mir hierzu:
„Meine künstlerische Motivation deckt sich mit meiner Lebensmotivation: Mich selbst und andere, die es verdient haben, glücklich machen. Meine Bilder sollen also in erster Linie Freude bereiten, Spaß machen, ein gutes Gefühl wecken.“
Aber, meine Damen und Herren, wie ich schon in meiner letzten Laudatio Francis Bacon mit einem Bonmot zitierte:
„Frivolität erfordert Disziplin“.
Gerade die Frivolität erfordert Disziplin. Also werde ich in den folgenden 120 Minuten einmal erklären, warum die Gemälde von Maori als amüsant zu empfinden sind.
Japan ist ein Land, das seit vielen Jahrhunderten die Selbstführung und Selbstkontrolle als hohen menschlichen Wert ansieht. Der Samurai ist nicht nur Krieger, sondern will immer vorbildlicher Gefolgsmann seines Fürsten sein. Einen schönen Einblick in die Ethik des Samurais bietet das Buch „Hagakure: Der Weg des Samurais“
Foto in der Bildergalerie
Ich darf mal verlesen, was über die richtige Erscheinung eines Menschen verlangt wird:
„Die Erscheinung eines Menschen zeigt seine Würde als Ausdruck der Tiefe seines Charakters. Seine konzentrierte Anstrengung, heitere Einstellung, schweigsame Pose, höfliche Veranlagung, freundliche Haltung, gebleckte Zähne und ein stechender Blick, all das zeigt Würde.“
Schlichtheit und Ernsthaftigkeit, Zurückhaltung, gleichzeitig Vitalität und Kampfbereitschaft zeichnen den Samurai aus. Höchstes Gut ist aber die Loyalität gegenüber dem Fürsten.
Unser Künstler äußert eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem traditionellen Samurai-Bild. Hört, hört:
„Es stört mich die Romantisierung, die Zelebrierung des Bushido, als hätte sich jeder Samurai an einen heiligen Kodex gehalten. Dabei gab es unter ihnen zuhauf ehrlose Arschlöcher, feige Verräter und ewiggestrige Sturköpfe. Daher konfrontiere ich meine Samurais mit neuen, für sie ungewohnten Situationen; lasse sie auf den Bus warten oder mit einem Laubbläser hantieren, um aus den Popkulturhelden wieder normale, verletzliche, fehlerhafte Menschen zu machen.“
Das Zitat enthält den Begriff „Bushido“. Was ist das denn nun wieder? Bushido ist ein mündlich überlieferter Kriegerkodex mit sieben Tugenden und fünf Hauptforderungen. Hagakure schreibt zur Bedeutung von Bushido:
„Ich habe herausgefunden: Bushido, der Weg des Kriegers, liegt im Sterben. Wird man mit zwei Alternativen konfrontiert, Leben oder Tod, so soll man ohne zu zögern den Tod wählen. Daran ist nichts Schweres: Man muss nur festentschlossen sein Ziel verfolgen.“
Maoris Samurais scheinen dagegen mitten im Leben zu stehen. Der „Frustrated Samurai“ steht ratlos vor dem Geldautomaten.
Der „Skating Samurai“ versucht sich in der Beherrschung des Rollbrettes und der „Samurai in love flies away“ gibt dem Rezipienten sogar die Deutungshoheit, warum er wohl mit einer stilisierten Rakete mit Guckloch den Planeten verlässt. Strebt er der Venus zu oder ist er unglücklich verliebt und will deswegen seinem Habitat entfliehen?
Interessant an diesem Bild, dem „Samurai in love“, ist die Abbildung des Berges Fuji. Für jeden Japaner ein höchst angenehmes Bildelement.
Fuji-san ist wichtig für den Japaner. Es gibt keinen Anblick landschaftlicher Art, der dem Japaner vertrauter ist und im Grunde genommen identifizieren auch wir alle Japan mit dem Fuji. Gibt ja auch Fujicolor, Fujitsu, das klingt nach Japan und nicht nach Mecklenburg-Vorpommern.
Der Fuji kommt auf drei Bildern in der Ausstellung vor, das ist noch relativ wenig, wenn man die große Bedeutung berücksichtigt, die der Berg für die japanische Kultur hat. Gemalt und fotografiert in allen möglichen Perspektiven, metaphysisch als heiliger Berg verehrt und stets als Bildelement willkommen. So z.B. auch bei dem wohl bekanntesten japanischem Kunstwerk.
Wenn es ein Bild gibt, das als japanische Kunst um die Welt gegangen ist, dann ist es:
„Die große Welle vor Kanagawa“
Foto in der Bildergalerie
Es ist ein Holzschnitt aus der Serie „36 Ansichten des Berges Fuji“ von Katsushika Hokusai. „Das Bild ist perfekt“, schreibt mir Maori dazu.
Hokusai startete seine künstlerische Tätigkeit mit 16 Jahren. Mit 70 hatte er dann den Bogen raus und begann mit der Serie über 36 Ansichten des Berges Fuji. Hokusai meinte, dass nichts, was er vorher erschaffen hatte, der Erwähnung wert sei. Mit der Serie war ein enormer Erfolg des Verlages verbunden. Der kündigte dann an, dass es insgesamt 100 Ansichten des Berges Fuji geben würde. Tatsächlich kamen noch 10 Ansichten dazu. Insgesamt gibt es also 46 Folgen dieser Serie.
„Drei Engel für Charlie“ brachte es auf insgesamt 115 Folgen in 5 Staffeln, wenn ich jetzt mal völlig sinnfrei den Bogen zum Anfang spannen darf. Die Serie endete übrigens 1981, dem Erscheinungsjahr der Suzuki Katana und dem Geburtsjahr unseres Künstlers.
Was war sonst so los im Jahr 1981?
Der Schwarzspecht (japanisch Kumagera) war 1981 Vogel des Jahres, ich erwähne das für die ornithologisch Interessierten.
Foto in der Bildergalerie
Der Schwarzspecht ist ein ausgesprochen ruffreudiger Waldbewohner. Das langgezogene hohe „kliööh“ ist für Artgenossen kilometerweit hörbar, daneben macht sich der Schwarzspecht auch durch die Revier- und Balzrufreihe „kwui-kwui-kwui“ und den Flugruf „krü-krü-krü“ bemerkbar. Wie die meisten anderen Spechtarten trommeln sowohl Männchen wie Weibchen zur Balzzeit, um einen Partner anzulocken.
Für das charakteristische Trommeln suchen sich die Spechte eine geeignete Stelle mit guter Resonanzfunktion, etwa einen hohlen Baum, oder einen alten Ast. Der Trommelwirbel des Schwarzspechtes ist mit ca. 17 Schlägen pro Sekunde eher langsam.
Betty hält jetzt mal ein Bild von zwei Schwarzspechten, die sich gefunden haben, hoch. Gemalt in der sogenannten „Sumi-e-Technik“.
Foto in der Bildergalerie
Sumi-e bezeichnet eine typisch japanische Tuschtechnik, die mit einem speziellen Pinsel ausgeführt wird. Vorwiegend werden Landschaftsbilder in dieser Malweise hergestellt. Hier ein typisches Landschaftsbild in Sumi-e.
Foto in der Bildergalerie
Maori lässt die Landschaften auf seinen Bildern nach Sumi-e aussehen. Beispiel: „Delivery Ninja II“
Foto in der Bildergalerie
Das Schloss im Spinnwebwald hat Pizza bestellt oder ist es Sashimi? Jedenfalls muss sich unser Lieferheld durch Felsen und Wald kämpfen, ab und zu hört er das Trommeln des Schwarzspechts.
1981 verlobten sich übrigens Prinz Charles und Lady Di, es wurde gegen Brokdorf und gegen die Startbahn West demonstriert. Ronald Reagan wurde Präsident, Bob Marley starb und Britney Spears wurde geboren, MTV ging auf Sendung. Auf den Papst wurde geschossen. Die deutsche Damen-Hockeymannschaft wurde Europameister. Pink Floyd ging mit dem Album „The Wall“ auf Tour und das Space Shuttle startete zum ersten Mal und Genosse Generalsekretär Erich Honecker schloss ein bilaterales Handelsabkommen der DDR mit Japan ab.
Jetzt hochaktuell: Handelsabkommen zwischen Europa und Japan. Nudeln und Schuhe werden für die Japaner billiger, weil Zölle wegfallen. Japanische Autos werden dafür in Europa billiger. Das Abkommen nennt sich „Jefta“. Jefta steht für „Japan-EU Free Trade Agreement“.
Von Jefta und Schwarzspecht aber jetzt wieder zurück zum Fuji.
Maori hat mir zum Fuji Folgendes geschrieben:
„Der Berg Fuji verkörpert so ziemlich 1:1 meine Vorstellung eines idealen Kunstwerks. Alles ist lebendig, alles ist perfekt, und trotzdem ist alles vergänglich. Die Vergänglichkeit ist das Hauptthema meiner Kunst. So wie die Situationen in den Bildern vergehen, vergehen auch die Bilder selbst.“
Wo wir gerade bei Vergänglichkeit sind. Das Image der besonders fleißigen japanischen Arbeitsbienen, deren Leben wegen überlanger Arbeitszeiten nicht selten am Arbeitsplatz endet, und zwar im sog. „Karoshi-Tod“, teilt unser Künstler nicht.
Der Künstler schreibt mir zum Thema:
„Ich bin ein Ruhrpottkind, also laut, direkt und ehrlich. Da aber die meisten Menschen hierzulande ein völlig anderes Bild von Menschen meines Aussehens haben, ist es in meinem Leben schon häufig zu witzigen Situationen gekommen. Mein alter Chef bei Scholz & Friends hat mal zu mir gesagt: „Beim Bewerbungsgespräch habe ich gedacht: Geil, da kommt jetzt ein fleißiger Japaner. Aber na ja, dann kamst du.“
Damit ist zugleich gesagt, dass Maori auch einen beruflichen Hintergrund hat. Er ist diplomierter Mediengestalter und kommt aus der Werbung. Ein solcher Hintergrund ist nicht untypisch für freischaffende Künstler, siehe Andy Warhol in der Malerei oder F. Scott Fitzgerald in der Literatur.
Buchautor ist Maori auch. Das Werk heißt „Vom Schisser zum Glückspilz in 26 Etappen“ und hat den Jakobsweg zum Gegenstand. Wenn Sie sich darüber informieren wollen, warum ausgerechnet ein atheistischer Japaner mit einem gegen Bettwanzen imprägnierten Laken nach Santiago de Compostela pilgert, dann ist das das richtige Buch für Sie.
Ein Kunstwerk für sich: Der abgestempelte Pilgerpass von Maori.
Als künstlerische Vorbilder nimmt sich Maori Leute, die nach dem Motto arbeiten:
„Die Wurzeln kennen, die Grenzen sprengen.“
So zum Beispiel Yuki Mishimoto, der die Sumi-e-Technik mit neuem Schwung belebt hat. Hier haben wir einen Samurai von Mishimoto, der dynamisch das Katana schwingt.
Foto in der Bildergalerie
Zu solchen Vorbildern zählt Maori auch den Schriftentwickler Erik Spiekermann, der vielfach künstlerisch ausgezeichnet wurde und auch kommerziell höchst erfolgreich ist. Seine Sprüche kann man sich an die Wand hängen, so wahr sind sie.
Foto in der Bildergalerie
Don´t work for assholes, don´t work with assholes. Das sollte man wirklich beherzigen. Mit diesem guten Tipp, meine Damen und Herren, schließe ich dann meine Laudatio. Vergessen Sie bitte nicht, heute Abend Bilder zu kaufen. Es gibt keine größere Bestätigung für einen Künstler, wenn seine Arbeit in dieser Weise wertgeschätzt wird. Ich werde mir jedenfalls einen Ruhrpott-Ninja besorgen, lasse Ihnen aber den Vortritt.
Vielen Dank fürs Zuhören und bis bald.
Bernd Roloff