Laudatio Atelier Freistil Nissis Kunstkantine
- November 2018
Einige Bilder sind aus Datenschutzgründen entfernt. Die Setzerin
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste,
willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity! Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote-Speaker der Kunstkantine und darf Euch heute auf das Herzlichste begrüßen zur 45. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Zu meiner Rechten meine Assistentin Betty, die meinen Vortrag visuell durch das Hochhalten von Hardcopys unterstützen wird.
Die Ausstellung gilt den Werken von 6 Künstlern des Ateliers Freistil. Die Ausstellung steht unter dem Titel:
„SIEH MICH AN“
Es ist die 4. Gruppenausstellung der Kunstkantine und wir stellen ab heute zum 2. Mal Werke des Ateliers Freistil aus. Also, meine Damen und Herren: Showtime! Es sind die Werke von 6 Künstlern zu besprechen. Mit wem fangen wir an?
Ich würde sagen: Mit Goethe!
1786 schuf Tischbein das Werk „Goethe in der Campagna“
Das Werk hat Höhen und Tiefen. Einerseits passierte auf dem Porträt der Fehler, dem Goethe zwei linke Schuhe anzuziehen.
Bekuckt man andererseits nur das Brustporträt, stellt man fest, dass diese Darstellung von Goethe wohl die bekannteste und prägendste war. Sie hat zum Beispiel auch Andy Warhol inspiriert zu seinen üblichen Popfarben-Repititionen.
Und sie inspirierte auch Peter Coleman vom Atelier Freistil zu seinem Porträt:
Er hat dem Werk den Titel „Sieh mich an“ gegeben und damit auch unserer Ausstellung ein Motto gegeben. Es ist ein Aquarell und Peter hat die Strukturen mit Fineliner abgegrenzt. Diese Konturierung ist zum Beispiel ein typisches Merkmal der naiven Malerei, bei Gesamtansicht würde ich dieses Werk aber als „noch expressionistisch“ verorten.
Peter ist mit gleich 11 Werken hier in der Ausstellung vertreten. Er malt zügig nach Vorlagen von Porträtfotos oder Gemälden.
Aber der Clou ist: Seine Arbeitsweise! Er malt seine Bilder ganz anders, als man es sich vorstellt. Jeder andere Maler würde mit der Ausarbeitung des Porträts von der Mitte aus beginnen. Bei Peter ist das anders. Er malt seine Bilder nämlich von einer Bild-Ecke zur anderen und dann mit mutigem Strich.
Wer heute für 100 Euro Peters Goethe kauft, hat was zu erzählen, wenn Besuch kommt. Vom Tischbein mit den 2 linken Schuhen bis zu einem Porträt, das von rechts nach links gemalt wird. Greifen Sie hier also zu, meine Damen und Herren, sowas kommt nicht wieder.
Goethe war ja auch ornithologisch interessiert. In einem seiner deskriptiven Texte beschreibt er eine höchsterstaunliche Situation. Nämlich ein Nest, in dem verwaiste Zaunkönig-Küken von zwei Rotkehlchen gefüttert werden.
Achtung, Zitat:
„Ich war im hohen Grade glücklich über diesen höchst merkwürdigen Fund. Da ihr so klug seid, dachte ich bei mir selber, und euch so hübsch habt zu helfen gewusst, und da auch die guten Rotkehlchen sich eurer so hilfreich angenommen, so bin ich weit entfernt, so gastfreundliche Verhältnisse zu stören, im Gegenteil wünsche ich euch das allerbeste Gedeihen.“
Rotkehlchen ist das Stichwort für das gleichnamige Werk „Rotkehlchen“ von
Sarika Kapur:
Ein in wunderbar pudrigen Farben gemaltes Aquarell. Sarika ist mit 6 Arbeiten in dieser Ausstellung vertreten, es gibt auch Stadtansichten und Landschaften. Malerisch will ich Sarika nicht verorten. Ihre Werke sind für mich einfach liebenswert. Das Rotkehlchen hat es übrigens auch in den Jahreskalender geschafft, wie Sie hier sehen können
Dieser Kalender für 2019 enthält eine prismatische Auswahl der Künstler des Ateliers Freistil. So, meine Damen und Herren, jetzt bitte Handheben, wer kauft den Kalender 2019?
Wenn ich keine Hand sehe, dann rede ich nicht weiter. Ich hoffe, meine rhetorische Pause dauert nicht lang. Der Kalender kostet nur 24 Euro, das sollte Ihnen der Spaß wert sein. Eine schöne Erinnerung an diesen Abend. Täglich in Nissis Kunstkantine zu kaufen.
Auf die Frage, welche Erwartungen sie an unsere Ausstellung hat, sagte Sarika übrigens Folgendes:
„Ich freue mich, wenn meine Bilder in einer Ausstellung gezeigt werden, es macht mich stolz, wenn viele Menschen meine Arbeiten sehen.“
Also, meine Damen und Herren, erfüllen Sie Sarika ihren Wunsch. Die Chefin des Ateliers Freistil, Bettina Grevel, hat ordentlich Kalender mitgebracht. Machen Sie das Rotkehlchen zum Hit des Abends. Sarika will berühmt werden. Geben Sie dem Rotkehlchen die Resonanz, die es verdient.
Immer wieder interessant ist die Frage, was Künstlerinnen und Künstler bei dem Malen, das heißt also bei der Werkschaffung als solcher, empfinden. Sarika schreibt mir hierzu, dass die Malerei für sie eine Herausforderung sei. Der Herausforderung zu begegnen ist das Entertainment für sie.
Doris Mierke, eine weitere Künstlerin des Ateliers Freistil, spricht dagegen davon, dass die Malerei für sie Entspannung und innere Ausgeglichenheit bedeutet. Doris hat für diese Ausstellung drei Werke eingeliefert, darunter zwei Aquarelle mit den schlichten Titeln „Hortensien“ und „Hortensien 2“. Hier mal ein Blick auf „Hortensien 1“:
Wunderbar gemacht, voll draufgehalten, nur Blätter, Blüten und Mauer und gut gemalt. Kein Stamm, keine Vase oder Erde, alles Unwesentliche weggelassen.
So geht’s, meine Damen und Herren.
Ehrlich gesagt, erinnert mich das Aquarell von Doris an den Malstil von Henri Rousseau. Der hielt auch voll drauf auf die Botanik, wie sie hier sehen können.
Allerdings ist kaum ein Bild von Rousseau zu finden, bei dem es nicht auch Elemente der Fauna zu sehen gibt. Hier haben wir zum Beispiel zwei Affen und dort noch einen Tierchen, das offenbar eine Frucht vom Baum gemopst hat.
Hier vielleicht eine Anregung für die nächste Hortensienserie:
Was könnte als Tier zwischen den Hortensien hervorblicken? Heimische Fauna, selten zu sehen. Wie wär´s mit einem Maulwurf?
Hier mal ein Foto eines purifizierten Maulwurfs als Handpuppe, die sich allgemeiner Bekanntheit erfreut, nämlich „Maulwurfn“.
Maulwurfn (Echo-Preis-Gewinner 2011) ist der absolute Star unter den Handpuppen geworden, weil er einen liebenswerten Sprachfehler hat. Sein Schlachtruf ist zum Beispiel „zehage“, was bedeutet, ob jemand zuhause ist.
Wunderbare Abkürzung: „zehage“
anstatt des umständlichen Satzes: „Ist jemand zuhause?“
Einen Maulwurf schraffiert in Popfarben, meine Damen und Herren, erkenne ich in diesem Werk:
Es ist das Werk mit dem Titel „Zuneigung“ von Andrea Leibrock, die 5 Werke für die Ausstellung eingeliefert hat. Die Werkbeschreibung des Ateliers Freistil lautet:
„Obwohl ihre Werke abstrakt sind, kann der Betrachter auch Figürliches in ihnen erkennen.“
Also bitte, wer will mich wiederlegen? Für mich ist das ein Flower-Power-Age-of-Aquarius-Maulwurf. Er sitzt hinter dem Steuer seines VW-Busses. Für den, der sich das nicht vorstellen kann, hier ein Bild von seinem Fahrzeug:
Aber bitte, meine Damen und Herren, Sie haben die Deutungshoheit über Werke der abstrakten Kunst. Heutzutage muss niemand mehr den Interpretationen des Künstlers oder von Kunstexperten folgen.
Auf der Webseite des Ateliers Freistil findet sich zum Thema Kunst und Künstlerischem ein Zitat des Komponisten und Malers John Cage:
„If you celebrate it, it’s art, if you don’t, it isn’t“
Wenn wir unser Tun zelebrieren und dem ganzen einen Sinn, einen Inhalt geben, dann ist es Kunst. Sonst nicht.
Im Atelier Freistil zelebrieren 36 Künstler ihr Repertoire in 36 unterschiedlichen Ausdrucksweisen und Darstellungsweisen – frei im Stil.
Ich muss sagen, dass es mich als Hamburger und Steuerzahler stolz macht, dass es das Atelier Freistil gibt. 36 Künstler, die es nicht so leicht haben, werden hier gefördert. Insofern jetzt mein Respekt und mein Kompliment und meinen Dank an Bettina Grevel, die Leiterin des Ateliers und an ihre Mitarbeiter für ihr Engagement im Atelier Freistil und für die Begleitung dieser Ausstellung.
Es darf jetzt mal geklatscht werden.
Wie frei die Künstlerinnen und Künstler in ihrem Stil sind, kann man auch an Stefanie Grau sehen. Stefanie malt mit Acryl auf Leinwand Mangamotive. Im Format herausragend das Werk „Mädchentraum“.
Eine solche Darstellung treibt jeder deutschen Gleichstellungsbeauftragten den Schweiß auf die Stirn.
Hilfe!
Teenies mit Kulleraugen und kurzen Röcken. In Japan sind dagegen Mangas Kulturträger. Sie wurden seit Anfang der 90er Jahre auch ein Kulturexport wie Sushi und Futons.
Die Stilrichtung des Gemäldes von Stefanie Grau lässt sich als sog. Shojo-Manga verorten. Das sind Taschenbücher und Anime-Serien, die sich vor Allem an junge Mädchen richten. Themen sind hauptsächlich Mode und ordentlich kitschige Liebesgeschichten. Hat also nichts mit Schulmädchen-Erotik oder sonstigem Schweinkram zu tun.
Gemälde im Manga-Stil gibt es kaum. Insofern ist Stefanie tatsächlich in einem avantgardistischen Thema verhaftet. Was genau sie an der Welt der Kulleraugen so sehr begeistert, kann sie schwer in Worte fassen. Das macht gar nichts.
Zitieren wir doch mal Gerhard Richter, den teuersten lebenden deutschen Maler:
„Bilder, die deutbar sind und die Sinn enthalten, sind schlechte Bilder. Ein Bild stellt sich dar als das Unübersichtliche, Unlogische, Unsinnige. Es demonstriert die Zahllosigkeit der Aspekte, es nimmt uns unsere Sicherheit, weil es uns die Meinung und den Namen von einem Ding nimmt.“
Und damit ist zugleich gesagt, dass ein Bild, mit dem man nichts anzufangen weiß, im Grunde ein gutes Bild ist. Kaufen Sie sich doch mal etwas Rätselhaftes. Zum Beispiel den Mädchentraum. Wenn Sie auf die Sinnhaftigkeit des Gemäldes angesprochen werden, zitieren Sie einfach Gerhard Richter. Wahrscheinlich haben Sie das Zitat jetzt schon vergessen, das ich eben dargeboten habe. Keine Angst, auch diese Laudatio finden Sie als Text auf unserer Webseite. Lesen Sie es noch einmal nach. Wer das ein oder andere Zitat treffend zum richtigen Zeitpunkt hervorzaubert, gilt als gebildet und von Lebensart.
Genaugenommen muss man es sich für alle Zeiten merken. Immer, wenn man mit einem Kunstwerk konfrontiert ist, das einem unzugänglich ist, man aber trotzdem nach seiner Meinung gefragt wird, passt es.
Hier jetzt wenigstens noch mal der erste Satz:
„Bilder, die deutbar sind und die Sinn enthalten, sind schlechte Bilder.“
Ergo ist das Gegenteil ein gutes Bild. Belassen Sie es bei der Floskel, das wirkt am besten.
Mit Zitaten zu brillieren beweist Ihre Kennerschaft, meine Damen und Herren.
Wie wäre es mit Paul Klee?
„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“
Paul Klee rundet diesen Vortrag aus zwei Gründen ab:
Erstens: Er beschäftigte sich auch mit Handpuppen. Hier mal ein Beispiel:
Sieht ein wenig so aus wie der Clown Pennywise aus dem Film „ES“. Oder meinetwegen auch wie der Bösewicht aus „Halloween“. Unser Maulwurfn ist sehr sensibel und würde vor ihm sofort Reißaus nehmen.
Zweitens: Paul Klee ist das künstlerische Vorbild von Marlies Ziegler.
Marlies liebt bei Klee die kräftigen bunten Farben und die grafisch, mosaikartig anmutenden Bilder und will es Klee gleichtun. Sie arbeitet ausschließlich mit Buntstiften und setzt sorgfältig Fläche an Fläche.
Hier das Werk „Häusermauer“:
Und das ist richtig gut umgesetzt von Marlies Ziegler.
Klee unterschied zwischen statischen Quadraten und dynamischen Quadraten. Statische Quadrate sind dunkel, dynamische Quadrate eher hell.
Er hatte zwei Arten mit seinen Quadraten umzugehen. Einerseits wurden sie in reiner Farbfeldmalerei aneinandergesetzt, so wie zum Beispiel bei Mondrian, andererseits gibt es aber auch Klee-Werke, die mit Farbfeldern auf etwas Figuratives anspielen.
Marlies hat hier Flächen, bei denen die Quadrate für sich selber stehen. Andererseits werden Gebäude stilistisch purifiziert in die Felder eingefügt. Interessanter Makro- und Mikrokosmos. Hier in der Kunstkantine zu kaufen für 150 Euro.
Wir erinnern uns an den Satz:
„If you celebrate it, it’s art, if you don’t, it isn’t”
Zelebrieren Sie diesen Abend am besten durch den Kauf eines der Werke der ausgestellten Künstler oder des Kalenders. Das wird diesen Abend für Sie einmalig und unvergesslich machen.
Ich danke dann jetzt für das Zuhören. Werden Sie selbst unvergesslich, indem Sie die Ausstellung weiterempfehlen und genießen Sie den Abend.
Vielen Dank.
Bernd Roloff