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Was uns bewegt

Einladung

Rückseite

Die Formatierungen der Laudatios werden derzeit überarbeitet. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Laudatio

 

Nissis Kunstkantine 08. August  2014

Liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine. Ich darf Sie auf das allerherzlichste Begrüßen zur Vernissage für die Werke von Ralf Reichelt unter dem Motto

„Was uns bewegt“.

Herzlichen Dank, dass Ihr euch heute die Zeit genommen habt, uns an diesem an diesem Spätsommerabend Gesellschaft zu leisten.

Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin Stammlaudator der Kunstkantine und mein Vergnügen ist es, Sie mit dem Werk und dem Künstler hier heute Abend kurz vertraut zu machen.

Ralf Reichelts Werk hat, so wie es hier ausgestellt ist, 2 Schwerpunkte. Da gibt es einmal eine Bildgebung für Interaktion und zwar auf die Situation bezogen. „Fragiles Gespräch“ nennt sich z. B. ein Werk. Wir alle kennen diese Schwellenangst vor unangenehmen Themen oder übersensiblen Gesprächspartnern. Ein fragiles Gespräch droht. Wie soll man sich benehmen, was soll man sagen oder verschweigen (?) schon an den Titel knüpfen sich Überlegungen an, Assoziationen die man im Kopfkino weiterspinnt. Da kündigt sich ein Gespräch an, mit dem Aufkleber FRAGIL. „nicht Stürzen, nicht werfen“. Na da wollen wir doch mal sehen, ob der Inhalt heil bleibt oder ob im Gespräch das Porzellan zerschlagen wird.

Ein weiteres Werk im Bereich Bildgebung für Interaktion heißt „Stillschweigen“. Nun, Stillschweigen kann angenehm und positiv sein oder unangenehm und negativ. An ein Stillschweigen kann sich ein fragiles Gespräch dranhängen, wenn man sich lange genug angeschwiegen hat. Oder ein fragiles Gespräch kann in einem Stillschweigen enden wenn trotz emphatischer Kommunikation keine Lösung gefunden wurde und nun erstmal Funkstille, mithin Stillschweigen, herrscht.

Ärzte und Anwälte müssen aus gutem Grund von Gesetzes wegen Stillschweigen über das bewahren, was ihnen Ihre Patienten und Klienten offenbaren. Man kann sich ihnen anvertrauen, weil sie Stillschweigen bewahren müssen. Fragiles Gespräch, Stillschweigen, jeder hat seine eigenen Assoziationen, wenn es um diese Begriffe geht.

Damit ist zugleich schon gesagt, dass die Bilder von Ralf Reichelt die Basis bilden, die Grundversorgung schaffen für eigenes Weiterüberlegen.

Diese Ausgangssituation – Also Inspiration für eigenes Weiterüberlegen- ist dieselbe, wie bei dem anderen Schwerpunkt von Ralf Reichelt, nämlich seine spirituellen Werke, die Titel haben wie „Heiliger Punkt“, „Bekenntnis“ oder „Fügung“. Ralf Reichelt ist Christ, aber Christ ohne Missionierungsabsicht. Er möchte mit seinen Werken eine Projektionsfläche für die individuelle Spiritualität  des Betrachters bieten.

Nehmen wir beispielweise das Werk „Bekenntnis“. Ein ganz heikler Begriff, meine Damen und Herren zu dem sich sehr fragile Gespräche entwickeln können. Wenn man die Worte „ICH BEKENNE“ in der Google Suchmaske eingibt, dann kommt als oberstes Ergebnis das „allgemeine christliche Schuldbekenntnis“. Das Eingeständnis der persönlichen oder kollektiven Unvollkommenheit vor Gott und dann kann es losgehen mit dem Gebete, dass einem die Schuld abgenommen werden möge.  Ich will lieber Stillschweigen darüber bewahren, was ich davon halte.

Wenn ich andererseits einmal mal meine persönliche Suchmaschine, also das Google in meinem Kopf, mit dem Begriff „Bekenntnis“ anwerfe, dann wird bei mir folgender Satz ausgeworfen :

„Der Verfasser zeigt ein erfrischendes Maß an politischer Bekenntnisfähigkeit“

Dieser Satz stand mehrfach unter meinen Philosophieklausuren in der Oberschule und weckt sehr positive Assoziationen und Erinnerungen an eine Zeit ohne Verantwortung und der typischen Perspektiven und Erlebenswelt, die man als junger Kerl so hat.

Das ist der Sinn und Zweck der Kunst von Ralf Reichelt. Sie gibt einem mit Titel und Bildwerk Benzin in den Tank für eigene Assoziationen. Möglichst positive Assoziationen natürlich. Das gilt auch für die spirituell angehauchten Werke von Ralf Reichelt. Machen Sie das jetzt und hier das Beste daraus. Die Religionen des Westens, also Christentum und Islam, verschieben die Glückseligkeit in das Paradies. Das kann nicht richtig sein. Im hier und jetzt haben wir die Interpretationsmacht. Also nutzen wir sie.

Das gilt auch für das Werk „Tanz um das goldene Kalb“ das sie hier vorne sehen. Wir gehen mit einem Vorwissen über die biblische Geschichte an das Werk heran. Das muss nicht sein.

Nun stellen Sie sich einmal vor, es fragt Sie ein junges Pärchen, was es denn mit dem Werk auf sich habe und Sie sagen kurz angebunden „Götzenverehrung“.

Wenn es sich dabei um Touristen aus Dortmund handelt, dann machen die ein Selfie von sich vor diesem Werk und kleben es in ihr Fotoalbum.

Zuhause vorgezeigt, sagen Kumpels und Familie dazu : Allerhand, was man in Hamburg so sehen kann. Das Bild heißt „Götzenverehrung“. Der Mario Götze mal abstrakt. Mit 17 Jahren wurde er bei Borussia Dortmund Profifußballer und wechselte dann mit 22 mal eben für 37 Millionen zu Bayern München. Wenn das kein goldenes Kalb ist, meine Damen und Herren. Und dann waren 112 Minuten und 23 Sekunden im Weltmeisterschaftsendspiel zwischen Deutschland und Argentinien vor einigen Wochen gespielt, da lässt Mario Götze den hereingeflankten Ball lässig von der Brust abtropfen und schießt ihn volley ins Tor. Wer Deutschland mal tanzen sehen will, der kann sich bei You Tube die Videos von den Reaktionen der Fans beim Public Viewing ansehen. Wer jetzt sagt, meine Damen und Herren, das war kein spiritueller Moment, der ist nicht auf der Höhe der Zeit. Landauf, Landab werden Vorträge gehalten unter dem Thema „Spiritualität ohne Gott“.

Was ist denn an der klassischen Story vom Tanz um das goldene Kalb so Bedeutendes und göttliches dran, dass wir uns der Angelegenheit nur devot und nach Schuldbekenntnis nähern dürfen? Nach der biblischen Geschichtserzählung machten die Israeliten auf Ihrer von Moses geführten Wanderung durch die Wüste am Berg Sinai Pause. Moses muss auf den Berg rauf, um dort die 10 Gebote abzuholen und lässt sich dabei reichlich Zeit. Als Geschäftsführer für das Volk hat er kommissarisch Aaron eingesetzt. Weil Moses herumtrödelt, verlangt das Volk von Aaron Götter zu machen und Aaron fertigt aus dem Schmuck des Volkes ein Gussbild an, nämlich das berühmte goldene Kalb, das im Rahmen eines Festes eingeweiht wird. Als das Fest am schönsten ist, und das Volk um das goldene Kalb herumtanzt, kommt Moses vom Berg runter und erweist sich als Partyschreck. Er zerschmettert die Tafel der 10 Gebote und das goldene Kalb wird eingeschmolzen. Als Nächstes gibt er die Anweisung 3000 Leute zu töten.

Wir sind hier in der HafenCity umgeben von Konzernunternehmen. Wenn man die Sache nüchtern betrachtet, ist die Episode am Berg Sinai eine schlecht gelöste Managementaufgabe. Anstatt sich emphatisch zu verhalten und Aaron für seine unternehmerische Eigeninitiative zu würdigen, erweist sich Moses als Mann mit verminderter Impulskontrolle.

Er hat gerade die 10 Gebote, also den CODE OF CONDUCT, vom CHIEF EXECUTIVE OFFICER, also von Gott, abgeholt und verstößt gleich als erstes gegen das Gebot: „Du sollst nicht töten“.

Meine Damen und Herren von den erforderlichen „Soft Skills“ in einer Führungsposition ist hier nichts zu sehen und zu bemerken. Und nach unserem Arbeitsrecht kann man ohnehin keine 3000 Leute mit einer verhaltensbedingten Kündigung ins Jenseits entlassen, ohne sie vorher mehrfach abgemahnt zu haben.

Die stereotype Auslegung vom Tanz ums goldene Kalb geht in Richtung Kritik am Materialismus. Aber eigentlich ist doch der Materialismus unter dem Stichwort „Lifestyle“ heute durchaus geländegängig. Das Programm von RTL II wäre ohne Materialismus undenkbar. Man denke nur an die Trash-Moneten Familie „Die Geissens“. Wir leben in einer Zeit sozialer Mobilität. Allerdings gibt es auch soziale Mobilität nach unten. Wer hätte gedacht, dass der Golden Boy Topmanager Thomas Middelhoff bei seinem Versuch vom nicht nur Millionen, sondern Milliarden zu erringen, umkehren und einer Dachrinne nach unten klettern muss.

Meine Damen und Herren, heute Abend und in der Zeit bis zum 26.09.2014 haben Sie täglich die Gelegenheit ein Kunstwerk von Ralf Reichelt zu erringen. Sie machen damit keinen Fehler. Ralf hat sein Künstlerfach studiert und die Werke strahlen Wallpower, kompositorische Sorgfalt und Originalität aus. Die Herstellung seiner Werke verläuft durchaus komplex und langwierig. In der Industrie würde man von „hoher Fertigungstiefe“ sprechen. Da ist nichts Oberflächliches oder Hingehuschtes zu sehen, wie man es bei abstrakt arbeitenden Künstlern manchmal sieht. Seine Leinwände stellt Ralf selbst her und beschichtet sie mit knochenleimgetränkten Fragmenten aus Naturpapier. Auf so vorbereitetem Grund beginnt dann der Prozess der Farbgebung mit Acryl- und Ölfarben in vielen Schichten, wobei durch die Verwendung von Malgels Struktureffekte erzielt werden.

Die Werke haben oft wochenlange Trocknungsphasen. In dieser Zeit muss der initiale Gedanke der hinter dem Werk steht, aufrechterhalten, bzw. verfeinert werden. Das geht nur mit starken Themen die – so beschreibt es  Ralf – den Kopf schon kurz nach dem Aufwachen beschäftigen, weshalb man an nichts anderes mehr denken kann, als diesen Gedanken auch kreativ umzusetzen. 

Eine kreative Umsetzung der Frage „Wieviel haben wir noch?“ finden Sie bei uns hier als Installation aus Schuhen und Kreuzen. Die Schuhe sind Symbol für den Weg den wir gehen, denn wir tragen sie täglich. Die in die Schuhe eingelegten Kreuze sind sog lateinische Kreuze, das lateinische Kreuz ist das christliche Hauptsymbol. Der Längsbalken steht für das göttliche, während der Querbalken eine Verbundenheit mit der Erde symbolisiert.

„Wieviel haben wir noch“ fragt unsre Künstler Ralf Reichelt? Wieviel Glauben steckt in uns, auf dem Weg den wir täglich gehen. Trägt uns ein Glauben, wie immer der auch beschaffen sein mag, durch den Tag ? Oder müssen wir uns mit einer faden und weltlichen Stimmungslage dahinschleppen ?

Wir wachen jeden Morgen auf und wünschen uns eine Tageszeitung, ein Müsli, einen frisch gebrühten Kaffee,  eine frischgewaschene Jeans. Wie wäre es denn mal mit einem frischen Morgengebet wo wir einfach im Plauderton anfangen..

Guten Morgen, mein Gott.
Ich freue mich auf den Tag.
Ich lebe gern. Das will ich dir sagen…

Im Sinne einer individuellen Spiritualität kann jeder für sich entscheiden, ob Gott im Gebet vorkommen soll.

Nach der sog. Pascalschen Wette gilt Folgendes: „Wenn Du an Gott glaubst, aber Gott existiert nicht, so verlierst Du nichts – aber wenn Du nicht an Gott glaubst, und Gott existiert, so wirst Du in die Hölle geworfen. Deswegen ist es dumm, nicht an Gott zu glauben.“ Die letzte große Umfrage in der Eurozone ergab 2005 übrigens, dass 52 % der Bevölkerung glauben, dass es einen Gott gibt. Auf die Frage warum es einen Gott gibt, war die häufigste Antwort, dass es sonst keine Erklärung für die Schönheit, Komplexität und Perfektion der Erde auf der wir leben, geben könnte.

Wenn Sie ihr Gebet mit „Amen“ enden lassen, dann müssen Sie an einen Gott glauben, denn dieses Wort bedeutet sich ausrichten auf Gott.

Wenn Sie ihr Gebet nicht mit „Amen“ enden lassen, sondern stattdessen mit „Ramen“ dann outen Sie sich als Anhänger der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters. „Ramen“ nennt sich die weitverbreitete japanische Nudelsuppe. Die Kirche des fliegenden Spaghettimonsters hat in Europa sowohl in Polen als auch in Österreich die Anerkennung als Glaubensgemeinschaft beantragt. Weltweit haben die sog. „Pastafaris“ als Nonsensereligion großen Zulauf. 

Die Frage „Wieviel haben wir noch ?“ die Ralf Reichelt in seiner Installation stellt, stellen sich die Kirchen in Deutschland derzeit täglich. 2012 sind 320.000 Bürgerinnen und Bürger aus der Kirche ausgetreten. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich dazu, was in 2014 abgeht. Bei Einkünften aus Kapitalvermögen soll die Kirchensteuer ab 2015 nun wie die Abgeltungssteuer direkt von den Banken einbehalten werden.

Der Imageschaden ist riesig, ein automatischer Abzug hat immer was Verdummendes und Entwürdigendes an sich. Die Initiatoren dieses Unfugs haben offenbar beim Emphatiekursus gefehlt. Oder der Emphatiekursus ist gestrichen worden, weil das Geld für Protzbauten in Limburg draufgegangen ist.

Ärgern wir uns nicht darüber. Ihr habt es schon beim Tanz um das goldene Kalb gemerkt, man kann sich seine eigene Geschichte zum Bild zusammenstellen und muss nicht an Dogmen und Institutionen festhalten. Wer das goldene Kalb kauft, sollte sich deshalb auch gleich den „heiligen Punkt“ zulegen, vielleicht zur Erinnerung an den Siegelfmeter von Andi Brehme bei der Weltmeisterschaft 1990. Die Bezeichnung „Fußballgott“ stammt übrigens aus einer Radioreportage des ebenfalls von Deutschland gewonnenen Endspiels 1954 und war auf unseren Torwart Toni Turek gemünzt. Gab richtig Ärger damals von wegen Blasphemie.

Nichts ist besser als ein Impulskauf. Einfach charmant und amüsant finde ich beispielsweise das Werk „Roter Fisch im roten Meer“. Das kleine rechteckige Element auf dem Werk ist für mich ein Fisch, zunächst mal dargestellt in der Form, wie ihn unsere Kinder gerne mögen, nämlich als Fischstäbchen so Käpt´n – Iglo – mäßig eben als Klotzfisch. Durch einen einfachen schwarzen Punkt wird das Tier zum Leben erweckt. Nun hat es Augen und ist ein vitaler Klotzfisch. Gleich wird er um den in der Mitte dargestellten Felsen lustig herumschwimmen und seinen Klotzfischkollegen rechts am Felsen aufwecken, der noch die Augen zuhat.

Das ist der Vorteil an abstrakten Werken mit reduzierten Elementen. Das Kunstwerk erhält seine Aussagekraft erst durch die Gedanken, die sich der Betrachter macht. Man muss ich nicht auf die Suche nach der Aussage machen, die der Künstler meint hineingelegt zu haben.

Seit Eröffnung der Kunstkantine im März letzten Jahres ist Ralf Reichelt der achte abstrakt arbeitende Künstler, den die Kunstkantine ausstellt. Die Zahl 8 bedeutet in der Zahlenmystik den Übergang von der Weltlichkeit in die Transzendenz oder gilt als Zahl des glücklichen Anfangs. Lassen sie sich den Übergang von der Physik in die Metaphysik heute Abend gern durch ein Glas Wein erleichtern. Ansonsten hoffe ich, dass Ihnen meine Laudatio einen vergnüglichen Anfang des Abends bereitet hat und bedanke mich fürs Zuhören.

Bernd Roloff

Vernissage

Exponate

Nissis Kunstkantine

Kunstgalerie & Eventlocation
Am Dalmannkai 6
20457 Hamburg (HafenCity)

Mo – Fr 12-16 Uhr
Und nach Vereinbarung

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